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Demut & User-Experience: Ein Interview mit Josef Mayerhofer

Post-Its bei der Ideenfindung

Dieser Artikel ist eine Adaption des Interviews mit Josef Mayerhofer erschienen in der Internet World.

Was ist User Experience genau?

Jedes Produkt, jede Dienstleistung, jede Interaktion mit einem Unternehmen bedeutet für den Menschen eine subjektive Erfahrung – die User Experience (UX). Sie ergibt sich unter anderem aus den Gedanken, Emotionen und Bedürfnissen eines Nutzers. Das Ziel von UX-Designerinnen ist es, die Erfahrung des Nutzers zu verbessern. Das kann bedeuten, komplexe Systeme einfach und zugeschnitten auf den Nutzer darzustellen, um ihn bequem und so schnell wie möglich an das gewünschte Ziel zu bringen.

Was hat User Experience mit Usability zu tun?

Usability ist ein Teilaspekt der User Experience. Sie beschreibt die tatsächliche Nutzung eines Produkts oder Service und damit nur einen Teil der gesamten Erfahrung. Wir betrachten zur Bewertung und Verbesserung der Usability die Effektivität und Effizienz, mit der eine Nutzerin ihr konkretes Nutzerziel erreicht. Möchte ich mir etwa ein Zugticket am Automaten lösen, sollte eine gute Usability dazu führen, dass ich schnell und ohne Probleme an das richtige Ticket komme.

Bahn-Ticket Station

Wie grenzt man User Experience zu Customer Experience ab?

Über die Abgrenzung dieser beiden Bereiche wurde in der Vergangenheit viel diskutiert und die Definitionen haben sich im Lauf der Zeit immer wieder verändert. Viele Experience Designer nutzen “User Experience”, um die Nutzung eines einzelnen Produkts oder einen einzelnen Nutzungsvorgang zu beschreiben und verwenden Customer Experience im Gegensatz dazu als umfassende Betrachtung der Interaktion von Kunden mit einem Unternehmen. Ich halte aber die Unterscheidung im wörtlichen Sinne für angemessener. Nicht jeder Nutzer ist ein Kunde und nicht jeder Kunde ist ein Nutzer. Google Maps hat zahlende Kunden (Werbetreibende) und viele Nutzer, die aber nichts für den Dienst bezahlen. User Experience ist daher ein deutlich umfassenderer Begriff, der jeden einschließt, der in irgendeiner Form mit einem Produkt interagiert.
Heute spricht man zunehmend von human-centered Design. Dieser Begriff ist neutral, inklusiv und beschreibt sehr genau, dass es hier um die menschliche Perspektive geht.

Warum ist User Experience wichtig?

Gute UX bedeutet, dass nicht nur die Nutzer erfolgreich an ihr Ziel kommen, sondern auch, dass die Ziele des Unternehmens erreicht werden. Da man als Nutzerin die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern hat, entscheidet am Ende die subjektive Erfahrung, welches Produkt ich am liebsten nutze. So entscheidet User Experience über den Erfolg eines Produkts oder gar eines ganzen Unternehmens.

Was ist eine gute User Experience?

Gute User Experience bringt Nutzerziele und Geschäftsziele unter einen Hut. Oft sind die Ziele dieser zwei Stakeholder unterschiedlich und die Aufgabe eines guten UX-Teams ist es, die Schnittmenge zu finden und beide Seiten glücklich zu machen. Ich kann mir auf YouTube ein Video angucken, muss aber einen Werbespot ertragen. Wenn beide Seiten, also ich als Nutzer und Google als Anbieter, mit diesem Deal zufrieden sind, ist die User Experience gut. Das heißt aber nicht, dass man sie nicht noch weiter verbessern und die Nutzerin noch glücklicher machen könnte.

Ein Venn-Diagramm, das zeigt, wie wir an der Schnittstelle zwischen Nutzern, Unternehmen und Technologie Wirkung erzielen.

 

Lassen Sie uns den Prozess skizzieren, wie Unternehmen eine gute User Experience für ihr digitales Produkt erreichen können …

 
 

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Welche Schritte sind dazu nötig?

Wir gestalten User Experience in einem iterativen, empirischen Prozess. Da wir ständig über unsere Nutzer lernen, können wir Produkte immer weiter verbessern.

Im human-centered Design steht der Mensch im Mittelpunkt dieses Prozesses. Der erste und größte Arbeitsschritt ist Forschung – um Empathie und Verständnis über die Nutzerinnen zu gewinnen, neue Ideen zu entwickeln und die eigene Intuition zu testen. Wir stützen uns etwa auf Beobachtung, Interviews, Tests und Konkurrenz- oder Substitutsanalysen. Im gesamten Prozess kombinieren wir quantitative Analyse (die uns das „Was?“ beantwortet) mit qualitativer Forschung (durch die wir das „Warum?“ erfahren).
Durch das Zusammenführen unserer Recherchen, Beobachtungen und Erkenntnisse aus der Praxis können wir Muster erkennen und nach Zusammenhängen suchen. Eine ausgereifte UX-Strategie kombiniert Geschäftsziele und Nutzerbedürfnisse. Auf Basis der Forschungsergebnisse erarbeiten wir eine individuelle Strategie, die als Wegweiser im Designprozess dient. Um den Erfolg der Strategie zu messen, legen wir verschiedene KPIs fest.

Der Designprozess beruht immer auf einer effizienten Informationsarchitektur und einem nutzerzentrierten Userflow. In iterativen Schritten entwickeln wir das Design von Mock-ups bis zu den ersten klickbaren Prototypen. Unsere Entscheidungen sind hier nicht beliebig, sondern stets mit Daten belegbar. Sobald ein Team diesen Schritt abgeschlossen hat, können sie im Projekt angesammelte Hypothesen durch Experimente und Prototyping-Tests untersuchen. Wir versuchen, jede mögliche Iteration unseres Designs zu validieren – sogar die erste, grundlegendste Idee.

Unabhängig davon, was wir entwerfen, ist das Prototyping eine wichtige Phase des Designprozesses. Der Bau und Test eines Prototyps ist ein schneller und risikoarmer Weg, um effizient zu iterieren. Durch das frühzeitige Einholen von Nutzerfeedback können wir die Richtung wechseln und das Konzept anpassen, bevor viel Geld in Entwicklung fließt.

Auch während der Implementierungsphase bleiben die Rückmeldungskanäle zu den Nutzerinnen offen. Das Ziel dieser Phase ist die Produktion eines Minimum Viable Products (MVP). Als MVP bezeichnet man die erste Version eines Produkts, die den Nutzern einen echten Mehrwert bietet, aber noch nicht alle geplanten Funktionalitäten beinhaltet. Von dort aus wird das Produkt um weitere Funktionen oder Aspekte erweitert.

Der Launch ist die beste Gelegenheit, große Mengen echter Nutzerdaten zu sammeln und zu analysieren. Durch Methoden wie A/B-Testing lässt sich die User Experience weiter optimieren und damit die Conversions steigern.

Unser UX-Agentur-Prozess reicht von den chaotischen Forschungs- und Erkundungsphasen bis hin zur gezielten Entwicklung und Prüfung.

Würden Sie das als „User Experience Management“ bezeichnen?

Ja, das Aufsetzen und betreuen dieses Prozesses ist User Experience Management. Typische UX-Management-Aktivitäten sind die Definition der UX-Design-Sprache und -Strategie einer Organisation und die Verwaltung der Prozesse rund um das UX-Design.
UX-Management kann dabei sowohl als Berufsbezeichnung (UX-Manager) als auch als organisatorische Tätigkeit verstanden werden. Auch wenn UX in der Verantwortung eines UX-Managers liegt, ist es wichtig, dass das gesamte Unternehmen (und insbesondere die Geschäftsleitung) sich aktiv mit den Benutzern und ihren Bedürfnissen auseinandersetzt. Um effektives UX-Management zu praktizieren, müssen Führungskräfte die strategische Ausrichtung von Team und Prozessen sicherstellen, die alle im Interesse der Endnutzer des Produkts sind.

Welche Empfehlungen können Sie geben, um eine gute User Experience zu erzielen?

Der Trick bei User Experience ist das Zuhören. Human-centered Design ist zwar auch eine Sammlung von Methoden, am wichtigsten ist aber die Haltung, die dahinter steht. Wer erfolgreiche Produkte schaffen möchte, muss zunächst die Demut haben, zu erkennen, dass seine Nutzer eine völlig andere Perspektive haben. Kleineren Teams, die gerade erst mit HCD beginnen, empfehle ich häufig, einen Tag pro Monat festzulegen, an dem Nutzerinnen zum Interview oder Test eingeladen werden. Größere Organisationen, die auch einen hören UX-Maturity-Level haben, können von der Implementierung von Research-Ops profitieren. Dabei werden Prozesse eingeführt, die umfangreiche (Nutzer-) Forschung unterstützen und ihre Wirkung innerhalb einer Organisation verstärken.

Wie haben die großen Tech-Konzerne bzw. Apps wie Instagram die User Experience verändert?

Digitale Marktführer wie Apple, Google und Spotify haben die Erwartungen von Nutzern in Bezug auf User Experience geprägt. Big Tech verwendet große Teams von Psychologen, Designern und Entwicklerinnen, um verständliche und sogar süchtig machende digitale Erfahrungen zu entwickeln. Es ist daher kein Wunder, dass Konsumenten diese hohen Standards heute auf alle möglichen digitalen und auch Offline-Angebote übertragen.

Über die Autoren

    Josef Mayerhofer

    Josef Mayerhofer Porträt

    ist CEO und Business Designer bei Empatic – The Human Experience Company und Dozent an der Fachhochschule Technikum Wien. Seine Leidenschaft im Feld von Human-Computer-Interaction gibt er als Berater und Fachbuchautor weiter.

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